Das Programm der Aufklärung

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
Das Programm der Aufklärung
 
Das Programm der Aufklärung war die Entzauberung der Welt“, wie Max Horkheimer und Theodor W. Adorno in ihrem berühmten Buch „Dialektik der Aufklärung“ geschrieben haben. Es ist zum ersten Mal 1947 erschienen und versuchte zu erklären, weshalb „die vollends aufgeklärte Erde im Zeichen triumphalen Unheils“ strahlte, wobei mit den Katastrophen die Geschehnisse im Deutschland der Nazis und im Russland Stalins gemeint waren. Nun stellt es sicher eine anspruchsvolle Aufgabe dar, die großen Verbrechen des 20. Jahrhunderts zu erklären, die in einer doch als zivilisiert und gebildet geltenden Gesellschaft ersonnen und exekutiert worden sind, und möglicherweise kann so etwas Anspruchsvolles wie die Aufklärung tatsächlich in ihr Gegenteil umschlagen und die Menschen weniger das Licht finden und mehr im Dunkeln tappen lassen. Um dieses umfassende Thema kann es hier nicht gehen, wohl aber um die einleitende Behauptung, daß mit der Aufklärung eine Entzauberung der Welt angestrebt wurde. Das Gegenteil ist nämlich der Fall, wie schon ein einfaches Beispiel zeigt. Aufklärung macht Menschen doch Mut, selber zu denken, und wenn sie das tun, stellen sie fest, daß das Wundern nie aufhört. Wer etwa den freien Fall durch die Schwerkraft erklärt, muß dann sagen, wie sie zustande kommt. Zwar hat Albert Einstein das 1915 herausfinden können - die Schwerkraft kommt durch die Krümmung zustande, die die Materie der Raumzeit verpaßt -, aber die meisten Menschen werden diesen Satz nicht verstehen. Für ihr eigenes Denken bleibt das einfache Fallen ein Geheimnis, aber sie müssen nicht verzagen und können sich im Gegenteil freuen. Denn das Schönste, was der Mensch erleben kann, ist das Gefühl für das Geheimnisvolle, wie auch von Einstein zu lernen ist. Es geht um dieses Gefühl, das man durch eigenes Denken bekommen kann und mit dem es möglich ist, die Welt zu verzaubern und über sie zu staunen. In einer anderen Kolumne werde ich die Verzauberung erneut erwähnen, die Menschen glücklich machen kann, und darin liegt das Programm der Aufklärung. Konkret meinten ihre Vertreter im 18. Jahrhundert, nach der Physik eine Ethik aufstellen zu können, die dann das menschliche Handeln anleiten könnte, um den Menschen das Glück zu schenken, dem doch alle nachjagen. Die Geschichte hat gezeigt, daß dieses Versprechen des rationalen Glücks leider unerfüllt geblieben ist. Hätten die Aufklärer wirklich versucht, die Welt zu entzaubern, wäre der Menschheit viel Ärger erspart geblieben. So kann man irren.
 

© Ernst Peter Fischer

Wiedergabe in den Musenblättern aus „Wahrheit im Widerspruch“ mit freundlicher Erlaubnis des Autors.